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Samstag, 23. März 2013

Was sonst noch in New York passierte (Großstadtgeschichten)

Manchmal kommt es ja anders, als wie man denkt. Da dachte ich doch glatt, nach meiner gemeinsamen Zeit mit AR in New York könnte ich noch ein paar Tage in der Stadt verbringen und bei einem Freund schlafen. Letzteres war leider nicht möglich. Das Hostel war fürs Wochenende schon ausgebucht. Und langsam wurde ich gewahr, dass auch andere offizielle (und weniger offizielle) Schlafstätten belegt waren. Der Grund war wohl St. Patricks Tag, der Tag des nationalen Besäufnisses! Der wird immer am 17ten März begangen, außer erfällt auf einen Sonntag, dann macht man es einen Tag vorher so auch an dem betreffenden Wochenende. Auch die Idee übers Internet im erwiterten Freundeskreis unter acht Millionen New Yorkern einen zu finden, der bereit war mich aufzunehmen erwies sich als nicht fruchtbar. Der letzte Ansatz war einfach bei einer christlichen Kommunität aufzuschlagen und anzufragen. Aber die bloße Kenntnis des Stadtteils reichte zu deren Auffinden
nicht aus. Dafür entdeckte ich eine Musikprobe in einer Gemeinde, und in der Folge viel über mich. Das Engagement der Gemeinde endete damit mich vor einer Obdachlosenunterkunft abzusetzen und in eine Richtung zu deuten wo noch einige Hotels zu finden wären. Auf diese Obdachlosenunterkunft wollte ich mich aber weder wegen der anstehenden Formalien, noch des knastähnlichen Flairs einlassen. Auch glaubte ich das dieses Angebot anderen zu steht und mich nicht betrifft. Also zog ich weiter richtung Hotel. Dort gab es tatsächlich noch ein Zimmer, welches aber so viel Kosten sollte wie die letzten drei Nächte zusammen, was ich nicht einsehen wollte. Es sollten ja auch noch andere Möglichkeiten bestehen. Das einzige was ich noch fand was eine Motel Lobby in der verschiedene Pärchen abhingen, ein Preisaushang der Zimmer in vier Stundenblöcken an bot, und ein Sicherheitsdienst, der rief: "The next!" Da habe ich es dann doch vorgezogen draußen Platte zu
machen, was sich als schwierig genug erwies, da alles bebaut oder abgezäunt war. Und entdeckt werden wollte ich auch nicht weder von der Polizei, noch von Anwohnern, die angehalten werden jeden und alles zu verdächtigen. Schließlich habe ich mich auf einem Spielplatz niedergelassen, was sehr gut funktionierte.

Da ich schon mal zu gegebener Zeit in der Stadt befand wollte ich natürlich auch wissen was denn diesen großen Feiertag ausmacht. Einen ersten Eindruck bekam ich am Bahnhof (Penn Station): ungefähr jeder trägt mehr oder weniger grüne oder passende Kleidung und Accesoirs. Auch sehr beliebt ist es wenig zu tragen, z.B. nur Hose und T-Shirt wobei auf letzterem vorzugsweise Anspielungen auf die (nicht vorhandene) irische Abstammung, sexuelle Gelüste oder Trinkabsichten bekundet werden. (Den Fortschritt von letzterem konnte man gut an lautstarkem Gegröle oder völliger Apathie erkennen.) Da ich keine weiteren Absichten und Termine hatte bin ich einfach der Masse und dem Reiseführer zu folgen. An einer abgesperrten Straße (5th Ave) fand ich einen schönen Aussichtspunkt und wartete dann auf die große Parade, die ich t.w. schon in der Ferne sehen konnte. Nach Stunden stellte ich fest, dass sie sich nur von mir weg bewegte. Also musste ich mich mit
meinem Gepäck durch die Menschenmassen schieben. Über Stunden und Meilen erstreckten sich in wechselnder Folge Marching Bands, uniformierte Feuerwehrleute, fahnenschwingende Tanzgruppen und Variationen der gleichen. (Aber hat man eine [Virtelstunde] gesehen - hat man alle gesehen.)
Um zu ruhen, nicht zu frieren und mein Telefon (die einzige Möglichkeit überhaupt noch Kenntnis von einer Übernachtungsmöglichkeit zu Erlangen) zu laden hing ich bis zum Abend bei und auf der Staten Iland Ferry ab. Ohne nennenswertes Ergebnis machte ich mich im Schneeregen auf in Richtung Spielplatz. Doch zuvor wollte ich mich noch mit Lebensmitteln versorgen um den Abend und den kommenden Sonntag überstehen zu können. Im Laden wurde ich von einem asiatisch anmutenden Mann angesprochen warum ich denn so viel Gepäck dabei hätte. Unwirsch nuschelte ich was von Flughafen. Als ich den Laden verließ war der Kerl wieder dort und fragte ob ich schon was für den Abend vorhätte oder ob ich nicht bei ihm vorbei kommen wollte. Da stünde zwar noch Besuch an aber das ließe sich schon arrangieren. In Anbetracht der Alternative draußen zu hocken ließ ich mich auf die Einladung ein. Der Asiat erwies sich als Brasilianer, der seiner Kultur folgend gerne
mal jemanden einlädt. Auf dem Weg zu seinem Appartement erbat ich mir göttlichen Beistand für den bevorstehenden Abend und die Nacht, während mein Gastgeber mich fragte, ob ich denn einer von der guten Sorte wäre. Das Zimmer stellte sich als komprimiert Juwelierswerkstadt heraus. Während der Boden mit Tischen und Regalen vollgestellt war, in denen Edelsteine lagerten oder auf denen sie sortiert und geordnet wurden, hingen von der Decke Werkzeuge und andere Gerätschaften. Den kleinen Gastgeber störte das alles nicht. In einer kleinen Ecke, auf einem improvisierten Tisch servierte er das Abendessen für den inzwischen eingetroffenen Besuch.
Es entspann sich ein Gespräch zwischen Professoren, Juwelier, Broadway Intendant, Weltenbummler und Tierliebhabern über Straßenhunde und Edelsteine. In Bezug auf die Geheimniskrämerei seiner Branche sagte mein Gastgeber: "Mein Herr ist großzügig, darum kann ich es auch sein! - Ich teile mein Wissen gerne." Schließlich verschwand der Besuch wieder und zurück blieben ich und die Frage wohin ich denn gehen wollte. Und weil ich kein gutes Ziel hatte, durfte ich einfach bleiben.

Den Rest des Abends und den ganzen nächsten Tag verbrachten wir im Gespräch. Sehr schnell stellten wir fest, dass wir dem gleichen Herrn folgen. Und so hörte ich mir seine Gedanken und Überlegungen an. Darüber, dass er Jesus liebt und die Bibel respektiert aber vieles nicht mag. Wieviel mehr er sich Liebe und Respekt darin wünscht statt Kriegsgeschichten und Imperialismus. Wie schräg sich das Evangelium in einer ehemaligen Kolonie anhört. Dass seine Leute im Dschungel nichts vermissen und keinen Missionar brauchen, der ihnen erzählt, das ihre (nackte) Kultur falsch und sündig ist. Dass wir eh niemanden bekehren können und das Gottes Sache ist, für die er schon sorge trägt. Wie sehr er unter seinem Unfall und der Krankheit leidet. Dass er es nicht mehr ertragen möchte. Wie er vergeblich daran arbeitet mit seinem Geschäft wieder auf die Füße zu kommen um endlich wieder auswandern zu können. Wie sehr es ihn schmerzt, kein Geld mehr zu
haben für die Bettler. Dass er lieber 5 statt einem Dollar gibt, damit es sich für den Empfänger lohnt. Wie beschämend, aufdringlich, respektlos und verletzend es ist Nahrung zu verschenken, statt Geld zu geben, Selbstständigkeit und Wissen um die richtige Versorgung der Bedürfnisse zu unterstellen. Wie sehr er sich wünscht, dass Gott endlich mehr eingreift, statt auf sich warten zu lassen. Und wie einsam er ist, weil er mit keinem diese Gedanken teilen kann, wie er immer wieder in Gemeinde aneckt und keine fand in der er sich wohl fühlt.

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